Kopenhagen Örestad
Ein neuer Stadtteil am Naturschutzgebiet – Ørestad
Seit etwa 1992 wird auf der Insel Amager, südlich des Stadtzentrums und „auf dem Weg“ zum Flughafen Kastrup „auf der grünen Wiese“ (einem ehemaligen Militär-Gelände) ein neuer Stadtteil geplant und gebaut. Aus einem Wettbewerb ging das finnische Büro ARKKI als Gewinner für den Masterplan hervor. Die Fläche beträgt über 300 Hektar. Bei der Realisierung wurde zuerst die Verkehrsinfrastruktur errichtet: die automatisch betriebene, führerlose Metro verkehrt mit der Linie M1 seitdem auf einer Hochbahntrasse zwischen der Kopenhagener Innenstadt und Ørestad. In wenigen Fahrminuten ist man also etweder am Flughafen Kastrup oder in der historischen Altstadt. Zudem dienen auch angelegte Kanäle der verkehrstechnischen Erschließung.
Die „Nahtstelle“ zum neuen Stadtteil bildet das neue Rundfunk- und Fernsehzentrum (DR Byen) mit dem neuen Konzerthaus Kopenhagen von Jean Nouvel; hier spielt das Dänische Radio-Symphonieorchester.
Im neuen Stadtteil findet sich experimentierfreudige Wohn- und Büroarchitektur; auch ein riesiges Einkaufszentrum (Field’s), Schulen (Ørestad-Gymnasium und eine Grundschule) und Bibliotheken wurden hier gebaut, ein Institutsgebäude für die eigenständige IT-Universitetet sowie weitere Bauten für die Uni Kopenhagen, ein kreisrundes Studentenwohnheim und ein großes Kongresszentrum (Bella Center) mit Hotel (Bella Sky Comwell). Direkt neben der „Stadt vom Reißbrett“ mit verdichteter Bebauung erstreckt sich ein großes Naturschutzgebiet.
Bilder oben: das Tietgenskollegiet (benannt nach dem Bankier Carl Frederik Tietgen), ein etwas anders konzipiertes Studentenwohnheim von Lundgaard & Tranberg Architects in Ørestad. Die ringförmige Anordnung um eine grüne Gemeinschaftsfläche, die Auskragung der Küchen in diesen Raum hinein und die Erschließung durch ringförmig durchlaufende Flure wirkt gemeinschaftsfördernd.
Der Kreis aus Wohnquadern ist an fünf Stellen des Umfanges vertikal unterbrochen für die Zugänge zum Haus; am inneren Kreis liegen Wohnungen und Gemeinschaftsküchen, am äußeren Einzelzimmer, die unterschiedlich versetzt aus dem äußeren Kreisumfang ragen. Im Erdgeschoss sind auch Funktionsräume untergebracht, etwa ein Waschsalon oder Fahrradgaragen.
Bilder oben: das Tietgenskollegiet bietet von außen und vom Innenhof aus immer wieder überraschende Details und Perspektiven.
Bilder oben: Spiegelung des Gebäudes Tietgenskollegiet in der Fassade des Bürohauses „Mikado“ vom Büro Arkitema; dieses Haus wurde 2010 fertiggestellt; das Erdgeschoss ist der Öffentlichkeit zugänglich; hier befindet sich Gastronomie und ein Supermarkt.
Kritik an der Stadtplanung
Trotz langfristiger Planung und der Beteiligung hochkarätiger Architekturbüros ist (bisher) kein wirklich „lebendiger“ Stadtteil entstanden. Bei der Realisierung wurden offensichtlich Leitlinien, die der dänische Architekt und Städteplaner Jan Gehl in seinen Schriften (z. B. „Städte für Menschen“) für eine funktionierende, lebendige, menschenfreundliche Stadt formuliert hat, nicht ausreichend beachtet.
Beispielsweise leidet er unter mangelnder Kleinteiligkeit und es fehlt ein zentraler Platz behaglicher Dimension, der mit Gastronomie, kleinen Läden, Sitzmöglichkeiten, Bäumen und Brunnen als Treffpunkt und urbaner Aufenthaltsraum dienen könnte.
Zur Stadtentwicklung in Kopenhagen mit dem neuen Stadtteil schrieb die Wiener Zeitung (wobei sie die Stadtplanung in Ørestad mit derjenigen in der Wiener „Seestadt Aspern“ verglich) im Oktober 2016 (www.wienerzeitung.at) ziemlich kritisch:
„Die Realisierung des Uni- und Businessbezirkes Ørestad – acht Kilometer, sieben Metrostationen oder 25 Radminuten vom historischen Zentrum entfernt – gehört zu den aktuellen Herausforderungen dänischer Stadtplanung. Nach der in den Sternen stehenden Fertigstellung sollen dort neben jeweils 20.000 Einwohnern und Studenten auch 80.000 Arbeitsplätze untergebracht werden. Damit tummeln sich hier eines Tages dreimal so viele Menschen wie in Aspern, und das auf einer Fläche, die nur etwa ein Drittel mehr belegt als die Wiener Seestadt. Studenten und Mittagspause Machende könnten schon heute das Stadtbild prägen – tun sie jedoch nicht.
Dabei leuchtet das Konzept ein: Mit seiner Nähe zum Flughafen und zum Nachbarland Schweden, der Dichte an Hochschulen und der hohen Kapazität für Unternehmen könnte sich Ørestad zu einer Karrierehochburg entwickeln. Doch aufgrund der großzügigen Planung ist genau das passiert, wogegen Jan Gehl seit dem Vormarsch der Automobilindustrie in den 1960er Jahren so vehement ankämpft: Dass Straßen nur mehr als Korridore dienen und den menschlichen Austausch in abgeschlossene Innenräume zurückdrängen. Die Abstände zwischen Häusern sind groß, und quer über die Straße ist Blickkontakt unmöglich. Der überdimensionierte Maßstab und die Abwesenheit von Stadtgeräuschen verursachen ein Gefühl von Einsamkeit. Kritiker sehen daher am Beispiel Ørestad nicht nur einen Rückschritt im Hinblick auf den menschlichen Faktor, sondern schlichtweg ein städteplanerisches Scheitern. (…)“
DR Byen und DR Koncerthuset
Am „Eingang“ zum neuen Stadtteil Ørestad befindet sich zunächst der Gebäudekomplex für den Hauptsitz des Dänischen Rundfunks (DR), das neue Rundfunk- und Fernsehzentrum, zu dem auch das Konzerthaus des Dänischen Rundfunks (DR Koncerthuset) gehört, geplant und gebaut vom französischen Architekten Jean Nouvel (Eröffnung in 2009).
Bilder oben: das neue Rundfunk- und Fernsehzentrum des Dänischen Rundfunks (DR) vom Büro Dissing + Weitling, fertiggestellt 2006. In dem mit dunklem Glas umhüllten Gebäude verbergen sich die Verwaltung des Dänischen Rundfunks sowie Fernseh- und Rundfunkstudios. Überformt sind die schwarzen Quader von einem weißen Metallgerüst.
Bilder oben: auf dem Gelände des Rundfunk- und Fernsehzentrums des Dänischen Rundfunks steht auch der blaue Kubus des Konzerthauses für das Dänische Radio-Symphonie-Orchester von Jean Nouvel. Die Fassade wird von einer blauen Glasfiber-Plane gebildet, die zur besseren Gebäudedurchlüftung an Fenstern wie eine Jalausie hochgezogen werden, aber auch (nachts) als Medien-Projektionsfläche wirken kann. Das Konzerthaus hat vier Säle.
Das Bella Sky Comwell Hotel in Ørestad
Die beiden über 70 Meter hohen Hoteltürme wurden von X3N Architects geplant und gebaut; mit über 800 Zimmern gehör die Hotelanlage zu den größten in Dänemark. Die beiden Baukörper sind nicht quaderförmig, sondern bilden im Aufriss ein Parallelogramm; zudem scheinen sich die Türme auch voneinander abzuwenden: der Winkel der Schrägstellung beträgt 15 Grad. Auf diese Weise haben die meisten Zimmer aber einen Ausblick auf den umgebenden Naturpark anstatt auf die Fassade des Nachbargebäudes.