Stuttgart – Arbeitersiedlungen
Arbeiter- und Werkssiedlungen, Sozialer Wohnungsbau durch die Stadt
Im Zuge der Industrialisierung ab etwa Mitte des 19. Jahrhunderts (zunächst v.a. in der chemischen Industrie; Gründung der Firmen Bosch und Daimler 1886 bzw. 1890) benötigten die vielen Arbeiter/innen der neuen Industriebetriebe auch Wohnraum; bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden für sie daher eigene Arbeiter- bzw. Werkssiedlungen, so etwa das „Postdörfle“ an der Heilbronner Straße. Diese Siedlung wurde zwischen 1868 und 1872 von Georg Morlok in steiler Hanglage an der Bahnhofstraße (heute: Heilbronner Straße) für Bedienstete von Post und Bahn erbaut: es entstanden etwa 200 Wohnungen und zwei größere Gebäude entlang der Heilbronner Straße, in denen Gemeinschaftseinrichtungen untergebracht waren: eine Wasch- und Badeanstalt, ein Laden sowie eine Kantine. Im Zweiten Weltkrieg wurde die dem Bahnhof benachbarte Siedlung fast vollständig zerstört, nur Teile der Gebäude mit den Gemeinschaftseinrichtungen blieben erhalten. Die Siedlung wurde nach dem Krieg in vereinfachter Form wieder aufgebaut, etliche Gebäude in neuerer Zeit durch moderne Wohngebäude ersetzt.
Zu den Bildern: Umbauarbeiten an den Gemeinschaftsgebäuden des „Postdörfle“ (2006/07).
Die Gemeinschaftsgebäude wurden in den Jahren zwischen 2004 und 2008 von Harald Schreiber und Christoph Mäckler zu einem Hotel umgebaut. Dabei blieb die Neorenaissance-Fassade zur Heilbronner Straße hin erhalten und wurde um die Giebel ergänzt. Zwischen den beiden Gebäuden befand sich ursprünglich eine Treppe zum Erschließungsweg der Siedlung. Diese Lücke wurde beim Umbau durch einen dreigiebligen Mittelbau geschlossen, welcher nun den Hoteleingangsbereich aufnimmt.
Bilder oben: die beiden Gebäude, welche ursprünglich Gemeinschaftseinrichtungen für die Post- und Eisenbahnersiedlung aufnahmen, wurde zum Hotel umgebaut.
Bilder oben: der frühere Aufgang zur Erschließungsstraße für das Postdörfle wurde beim Umbau zum Hotel als Standort für einen Verbindungsbau genutzt, der den Eingangsbereich aufnimmt. Letztes Bild: Blick aus der Gegenrichtung, im Hintergrund das Hochhaus der LB-BW, links neue Bebauung des ehemaligen Postdörfle-Areals.

Bild oben: heute ist das ehemalige Postdörfle-Areal im nördlichen Bereich mit neuen Wohnblocks bebaut.
Das Tunzhofer Arbeiterviertel (1900 – 1903)
Diese Wohnanlage an der Türlenstraße (hinter dem ehemaligen Bürgerhospital) besteht aus 13 5- bis 6-geschossigen Häusern, die auf einem Areal in Form eines unsymmetrischen Trapezes in Gruppen angeordnet sind. Die Durchgänge zwischen den Gebäudetrakten führen zu einem idyllisch ruhigen, begrünten und baumbestandenen Innenhof.
Geplant und gebaut hat die Arbeitersiedlung der Stuttgarter Architekt und Beamte der städtischen Bauverwaltung Albert Pantle. Von ihm stammen auch die Gebäude der Ostheimer Schule, der Schickhardtschule oder des Verwaltungsbaus des Schlachthofes (heute: Schweine-Museum).
Der spätere Baustil von Albert Pantle wird in der Literatur z. T. als „Stuttgarter Variante des Jugendstil“ charakterisiert.
Die den Innenhof umschließenden Gebäudetrakte bestehen einmal aus 4 und dreimal aus 3 Häusern, die aneinandergebaut, aber jeweils durch eine über das Dach in Form eines Stufengiebels hinausragende Brandmauer getrennt sind.
Der besonders gestaltete Eingang liegt in der Mittelachse jedes Hauses. Eine Achse überragt die anderen jeweils um eine Etage – Giebel und Dach sind hier jeweils besonders geformt und gestaltet.
Zum Bild: Eingangsachse eines der Gebäude.

Bilder oben: Blockrandbebauung im Tunzhofer Arbeiterviertel: 4 Gruppen von insgesamt 13 Häusern sind um einen unsymmetrisch trapezförmigen Innenhof herum angeordnet. Die Fassaden und Dächer sind aufwändig gestaltet
Erbaut wurde die Siedlung ursprünglich für die Arbeiter der städtischen Latrinenanstalt auf dem jenseits der Türlenstraße liegenden Gelände (heute Betriebshof der Abfallbetriebe Stuttgart). Bei umfangreichen Sanierungsarbeiten um das Jahr 2000 wurden insbesondere auch die vielfältig gestalteten Fassaden wieder auf Vordermann gebracht.
Zu diesen Fassaden kann man auf Wikipedia das Folgende lesen:
„Die Sockel der Häuser bestehen aus Beton mit Rauputz, die Wandflächen der Fassaden sind an den Vorderfronten weiß verputzt und an den Neben- und Rückseiten mit Blendziegeln verkleidet. Die Fenster- und Türeinfassungen werden von Zementkunststein oder rotem Sand- oder Backstein gebildet. Die Eck- und Zwischenlisenen bestehen ebenfalls aus rotem Backstein. Die Vielfalt in der Gestaltung der Fenster erhöht den Abwechslungsreichtum der Fassaden, (…)“

Bild oben: aufwändige Fassadengestaltung mit Fensterläden und -Gittern im Sockelgeschoss.
Bilder oben: im Innenhof der Arbeitersiedlung.
Bilder oben: die Brandmauern ragen in Form eines Stufengiebels über die Dächer hinaus.

Bilder oben: Anbau an eines der Gebäude im Innenhof.
Weitere „Arbeitersiedlungen“
Neu gegründete Vereine zum „Wohl der arbeitenden Klasse“ machten sich die Errichtung von Arbeitersiedlungen, oft mit standardisierten Typenhäusern und Nutzgärten im Blockinnenbereich zur Aufgabe. Beispiele für solche Ansiedlungen sind die Wohnkolonie Ostheim (ab 1891) mit der Siedlung Ostenau um den zentralen Luisenplatz im Stuttgarter Osten, die Siedlung Westheim bei Botnang oder die Siedlung Südheim in Heslach.
1913 gründeten Daimler-Arbeiter die Gartenstadt Luginsland mit kleinen Einfamilien-, Doppel- und Reihenhäusern um einen zentralen Platz – eine naturnahe und dörflich strukturierte Alternative zur städtisch dichten Wohnform. Andererseits wurde durch die Ausweitung und Verdichtung der städtischen Bebauung die Landwirtschaft zunehmend aus der Stadt verdrängt.
„Arbeitersiedlungen“ am Beispiel der Siedlung Ostheim und der Kolonie Ostenau, 1891-1903
Die äußerst dynamisch verlaufende Industrialisierung im 19. Jahrhundert führte auch in Stuttgart und dem mittleren Neckarraum zu einem starken Anwachsen der Bevölkerung; so wuchs die Stadt zwischen 1870 und 1905 von 90 Tausend auf 250 Tausend Einwohner. Das bedeutete auch einen hohen Bedarf an neuem und bezahlbarem Wohnraum. Der von Bankier und Sozialreformer Hofrat Eduard Pfeiffer 1866 gegründete „Verein für das Wohl der arbeitenden Klasse“ (heute „Bau- und Wohnungsverein“) versuchte genau hier Abhilfe zu schaffen. Der Verein sah es als seine Aufgabe an, für die Arbeiter erschwinglichen gesunden Wohnraum mit „viel Licht und Luft“ zu schaffen. Ein entsprechendes Projekt wurde mit dem als „Ostheim“ bezeichneten Stadtteil umgesetzt.
Auf der Website des Museumsvereins Stuttgart-Ost kann man zu der Entwicklung das Folgende lesen: „Nach einem Aufruf waren bald die erforderlichen Gelder gezeichnet, und so erwarb der Verein ein passendes Gelände an der östlichen Grenze des Stadtdirektionsbezirkes zwischen Berg und Gablenberg. Es sollten Häuser für zwei bis drei Familien entstehen mit einem Gartenanteil. Um Eintönigkeit zu vermeiden, sollte jedes Haus ein etwas anderes Aussehen haben. Die Achse der Siedlung bildete die Neuffenstraße, den Mittelpunkt der Teckplatz (jetzt Eduard-Pfeiffer-Platz). Diesen Bebauungsplan entwarf Regierungsbaumeister Friedrich Gebhardt, die einzelnen Häuser planten die Architekten Karl Heim und Karl Hengerer. Lange vor der Fertigstellung waren die Wohnungen bereits vergeben.“
Die Baumaßnahmen begannen 1891 und bereits ein Jahr später konnte das erste Haus bewohnt werden; 1903 wurden die Arbeiten insgesamt beendet. Die Architekten Heim und Hengerer bauten insgesamt 380 Häuser mit zusammen fast 1300 Wohnungen. Die Wohnungen wurden von Arbeitern, aber auch von Handwerkern, Beamte und Angestellten bezogen.
Bei Wikipedia kann man unter dem Eintrag Ostheim (Stuttgart) zu der Gestaltung der Wohngebäude das Folgende lesen:
„Heim und Hengerer entwarfen auf der Basis von nur vier Grundtypen zwei- bis dreigeschossige Einzel- und Doppelhäuser aus Backstein, die mit Naturstein oder Fachwerk verziert sind. Um die Siedlung möglichst abwechslungsreich zu gestalten, bekam jedes Haus durch unterschiedliche Dachformen sowie durch Türmchen, Erker und Balkone ein anderes Aussehen. Die Gebäude waren ursprünglich für jeweils zwei bis drei Familien geplant und hatten im hinteren Bereich einen Gartenanteil. In einigen Straßen gibt es auch kleine Vorgärten.“
Zur Infrastruktur der neuen Wohnsiedlung kann man auf der Website des Museumsvereins (s.o.) das Folgende lesen: „Für die Bedürfnisse der Einwohnerschaft und der zahlreichen Ausflügler aus Stuttgart eröffneten drei Gaststätten: der „Rechberg“ mit Biergarten, die „Teck“ und die „Ostheimer Bierhalle“ (…) mit Biergarten und Kegelbahn.
Handwerker ließen sich zwischen Ostend- und Achalmstraße nieder, wo, um den Lärm von der eigentlichen Siedlung fernzuhalten, in den Hinterhöfen Werkstätten entstanden. Am Ostendplatz eröffnete eine Drogerie, die bald einer Apotheke wich. Der Teckplatz mit dem „Jünglingsbrunnen“ (1913, Karl Donndorf) blieb zunächst der Mittelpunkt der Kolonie mit einem Wochenmarkt (…), dem Verwaltungssitz des Vereins, einer Poststelle, einem Polizeiposten und dem Ladengeschäft des Konsumvereins.“ (…)
Bilder oben: Gebäudevielfalt in der Siedlung Ostheim.
Bilder oben: die Gebäude unterscheiden sich alle in Details: in den Dachgauben, der Gestaltung von Balkonen und Fassaden.
Bilder oben: Eckgebäude weise in der Regel nicht nur ein Stockwerk mehr auf als die Gebäude in den Zeilen, sondern beherbergen im Erdgeschoss oft auch ein Ladengeschäft oder einen Dienstleistungsbetrieb.
Bilder oben: an der Einmündung von Landhausstraße und Rotenbergstraße befindet sich diese herrschaftliche Gebäude auf dreieckigem Grundriss mit zwei Erkern.
Bilder oben: an der Schnittstelle Teckstraße/Neuffenstraße befindet sich der Jünglingsbrunnen von Bildhauer R. W. Schönfeld.
Bilder oben: die Allee-bestandene Rotenwaldstraße und Blick auf den Turm der Lukaskirche in Ostheim.
Zwischen 1897 und 1899 wurde auch eine Kirche für den neuen Stadtteil erbaut, die Lukaskirche, sowie eine Grundschule.
Zur weiteren städtebaulichen Entwicklung kann man auf der Website des Museumsvereins (s.o.) das Folgende lesen: „Die günstige Lage der neuen Siedlung erkannten auch private Investoren, und schon 1895 begann der Bau von Mietshäusern am Ostendplatz, in der Florian-, Stuifen- und Roßbergstraße. Als dann 1901 Gaisburg der Stadt Stuttgart beigetreten war, konnte die Kolonie bis zur Alfredstraße erweitert und die Landhausstraße bis zur Talstraße in die Bebauung einbezogen werden.“
Zum Bild: die im Stil der Neogotik erbaute Lukaskirche. Mit der großem Freitreppe vom dem Eingangsportal ist sie auch Treffpunkt im Quartier.

Die Kolonie Ostenau, 1914
(Fortsetzung Zitat:) „Als erste größere, geschlossene Siedlung errichtete der Verein 1911-13 die Siedlung „Ostenau“ im Dreieck Lehmgruben-, Abelsberg- und Landhausstraße. Hier sollten etwa 250 mittlere Beamte und Angestellte mit ihren Familien einziehen.“ (…)
Zur dieser Kolonie Ostenau kann man bei Wikipedia unter dem Eintrag Ostheim (Stuttgart) im Abschnitt „Kolonie Ostenau 1911-1914“ das Folgende lesen:
„Acht Jahre nach der Fertigstellung der Arbeitersiedlung Kolonie Ostheim begann der Stuttgarter „Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen“ mit dem Bau einer weiteren Wohnsiedlung. Diese Kolonie Ostenau entstand von 1911 bis 1914 am östlichen Ende der Kolonie Ostheim – sie war aber ausschließlich Angehörigen des Mittelstandes wie Angestellten, Beamten und Lehrern vorbehalten. Entsprechend wurde Ostenau von den Architekten Karl Hengerer und Julius Rieth noch aufwändiger gestaltet als ihre Schwestersiedlung Ostheim. Es entstanden bürgerlich-repräsentative Häuserzeilen mit insgesamt 261 Wohnungen, die Fassaden und Dächer wurden im Stil der Barockzeit gestaltet. Inmitten der Siedlung wurde, anders als die Gartenparzellen in Ostheim, ein großer mit Bäumen umstandene Gemeinschaftshof geschaffen – der Luisenplatz.
Die Kolonie Ostenau wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und Anfang der 1950er Jahre in veränderter Form und mit dichterer Bebauung wieder aufgebaut.“

Bilder oben: der zentrale Luisenhof in der Kolonie Ostenau.

Bild oben: im Bus der Stuttgarter Verkehrsbetriebe spiegelt sich das Eingangsgebäude zur Kolonie Ostenau.
Bilder oben: der Stadtteil ist über Buslinien und die Stadtbahn gut an den Öffentlichen Personennahverkehr angebunden.
Bilder oben: durch eine einheitliche Gestaltung der Fassaden, etwa die Rustizierung der Erdgeschosse, wird der Eindruck einer geschlossenen Siedlung erweckt.
Bilder oben: in der Kolonie Ostenau gibt es viele (zum Teil begrünte) Innenhöfe und Quartiersplätze.
Für die Bewohner des neuen Stadtteils war natürlich auch die Verkehrsanbindung an die Innenstadt ein wichtiger Aspekt; bereits 1901 wurde ihren Wünschen folgend eine elektrische Straßenbahnlinie in Betrieb genommen.
Im Zweiten Weltkrieg entstanden auch in Ostheim durch Bombardements Gebäudeschäden, so brannte etwa die Lukaskirche aus. Insgesamt kam der Stadtteil aber glimpflich davon und die Schäden wurden nach Kriegsende rasch wieder behoben. Nach der neuen Bezirksverfassung der Stadt Stuttgart von 1957 bildeten die Bereiche Berg, Gablenberg und Gaisburg zusammen mit Ostheim den Stadtteil Stuttgart-Ost.
Über die städtebauliche Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg kann man auf der Website des Museumsvereins (s.o.) das Folgende lesen: „Seine offene Stimmung, aber auch die Lage Ostheims mitten im Stadtbezirk und eine hervorragende Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, vor allem aber das Angebot an freien Flächen führten dazu, dass sich hier immer mehr Funktionen für den Gesamtstadtbezirk ansiedelten, zunächst etwa das Leo-Vetter-Bad (1962), die Turn- und Versammlungshalle sowie die Stadtteilbücherei Ost (heute Eduard-Pfeiffer-Bücherei, beide 1964). In ehemaligen Straßenbahngebäuden kamen 1973 die AWO-„Begegnungsstätte“ für ältere Menschen und das Jugendhaus Ostend hinzu. 1991 wurde die Polizeiwache nach Ostheim verlegt. Ab 1981 entstand das „Ostendzentrum“, dessen (vorläufigen) Abschluss das Ost-Rathaus (offiziell: Bürgerservicezentrum) bildet. Zahlreiche Kultureinrichtungen tummeln sich hier, etwa die Kleinkunstbühne „Laboratorium“ (seit 1972), Dein Theater (1984), das Puppentheater Tredeschin (1995), das Kulturwerk (1996) oder das Theater LaLune.“
Industrieansiedlungen in Ostenau
Zwischen 1900 und dem Beginn des ersten Weltkriegs siedelten sich am Rande der Wohnbebauung auch verschiedene Industriebetriebe an, u.a. auch die „Waldorf-Astoria-Cigarettenfabrik“. Für die Kinder seiner Arbeiter gründete deren Direktor Emil Molt an der Haußmannstraße eine Schule, deren Leitung er dem Anthroposophen Rudolf Steiner übertrug. So entstand in Stuttgart die allererste Waldorf-Schule.
Einige Gebäude dieser damals gegründeten Industriebetriebe haben die Zeiten und den Zweiten Weltkrieg überdauert, werden heute aber anderweitig genutzt, etwa für Wohnungen, für Agenturen, ein Hotel oder als Niederlassung eines Lebensmittel-Discounters. Dazu gehören die Gebäude Haußmannstraße 101 und 103. Über sie konnte man in den „Stuttgarter Nachrichten“ (vom 10. 8. 2016 „In alten Fabriken geht es heute kreativ zu“) das Folgende lesen:
„Die Haußmannstraße 101 ist eines dieser Häuser. Isco wurde im Jahr 1896 gegründet, 1906 wurde das von dem Architekten Philipp Jakob Manz entworfene Gebäude bezogen. Dort wurde Wäsche produziert. Doch die Besitzer waren Juden und gerieten in der Nazizeit unter Druck. Weit unter Wert musste man die Firma an das Familienunternehmen Ammann verkaufen. In der Kriegsproduktion wurden unter anderem Fallschirme hergestellt. Nach Kriegsende gaben die Ammanns das Unternehmen an die Erben der ursprünglichen Besitzer zurück und erwarben es erneut zu einem fairen Preis. Die Produktion lief dort bis etwa 1980 weiter.“
Und:
„Nur wenige Schritte entfernt in der Haußmannstraße 103 findet sich die ehemalige Spachtelgardinenfabrik L. Joseph & Co, die 1904 in das ebenfalls von Manz stammende Gebäude einzog. 1931 ging die Firma Konkurs, die hübschen Gardinen wurden in Krisenzeiten nicht mehr nachgefragt. Von 1931 an kam es zu einer Zwischennutzungen durch die Kühlerfabrik Längerer & Reich, bis 1962.“
Bild oben: in dem roten Backsteingebäude Haußmannstraße 101 wurde bis 1980 produziert; auch das helle Gebäude Haußmannstraße 103 beherbergte ursprünglich einen Industriebetrieb.
Die Arbeiter-Siedlung Wallmer in Untertürkheim 1925/26, 1930
Die Siedlung Wallmer wurde von einer Gruppe Architekten des BDA (Bund Deutscher Architekten) Baden-Württemberg unter der Leitung von Richard Döcker geplant und gebaut.
Die Wohnsiedlung wurde in zwei Abschnitten realisiert, wobei der erstere (1925/26) im eher konservativen Stil der regionalen Bautradition („Heimatstil“) geplant wurde und der zweite etwas später (1930) im Sinne der sachlich-schlichten Funktionalität des Bauhauses. Die Wohnungen waren hauptsächlich für die vielen Arbeiter gedacht, die bei den großen Industriebetrieben in Untertürkheim beschäftigt waren.
Die Gebäude des ersten Bauabschnitts zeigen Satteldächer; von den Originalbauten sind nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg nur noch zwei Häuserzeilen erhalten. Architekten dieser Häuser wareb Friedrich Mössner und Alfred Daiber.
Der von Richard Döcker geplante zweite Bauabschnitt besteht aus fünf parallelen Häuserzeilen, die (für eine durchgehend gute Besonnung) in einigem Abstand von einander am leicht ansteigenden Hang angeordnet sind. Die Balkone an der Südseite sind jeweils paarweise angeordnet, die Treppenhäuser springen risalitartig aus der Gebäudefront hervor. Die Zeilen enden mit höheren Kopfbauten, welche turmartig und mit Eeckbalkonen die Blöcke abschließen.
Zum Bild: Treppenhaus (zweiter Bauabschnitt).
Bilder oben: Häuserzeilen aus dem ersten bauabschnitt der Wallmer Siedlung; hier haben die Architekten im „Heimatstil“ gebaut.
Bilder oben: Häuserzeilen des zweiten Bauabschnittes mit typischen Stilelementen des „Neuen Bauens“; letzte Bilder: die turmartigen Kopfbauten.
Sozialer Wohnungsbau durch die Stadt Stuttgart
Nach dem Ersten Weltkrieg ging man zur Linderung der kriegsbedingten Wohnungsnot in Stuttgart neue Wege: die Stadt selbst wurde im Siedlungs- und auch im Sozialwohnungsbau aktiv, unterstützt von gemeinnützigen Baugenossenschaften. Auf diese Weise entstanden zwischen 1920 und 1932 über 5000 neue Wohnungen, so etwa der Friedrich-Ebert-Wohnhof in Nachbarschaft zur Weißenhofsiedlung.
Der Friedrich-Ebert-Wohnhof – eine genossenschaftliche Wohnanlage
Der Friedrich-Ebert-Wohnhof (Siedlung „Schönblick“) wurde in den Jahren 1927 bis 1929 von Karl Beer für den „Bau- und Heimstättenverein Stuttgart“ erbaut.
Der Wohnkomplex befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Weißenhofsiedlung, wurde auch etwa zeitlich mit dieser erbaut, gehört aber nicht zu den Mustergebäuden der Werkbundausstellung von 1927.
Das Café „Schönblick“ war bereits während der Werkbund-Ausstellung fertiggestellt und konnte von deren Besuchern/innen genutzt werden.
Das genossenschaftliche Bauprojekt sollte vor allem die Wohnungsnot der 1920er Jahre lindern helfen. Das nach dem ersten demokratisch gewählten Präsidenten des Deutschen Reiches, Friedrich Ebert, benannte Projekt besteht aus drei Baukörpern: einem 3-flügeligen, 5-stöckigen Wohngebäude, das sich um einen Innenhof schließt, sowie einem 8 Geschosse hohen Wohnturm und einem 2-stöckigen Café-Restaurant-Gebäude, welches den Innenhof an der vierten Seite begrenzt; letztere tragen viele Elemente des „Neuen Bauens“.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Schäden an den Gebäuden behoben und die ursprüngliche Gestalt weitgehend wieder hergestellt. Nach umfangreichen Renovierungsmaßnahmen in den Jahren 1995-97 zeigen die Gebäude jetzt wieder die ursprüngliche rote Farbe der Zwischenräume zwischen den Fenstern der Fensterbänder.
Zum Bild: das Café-Gebäude, der Wohnturm und das 5-geschossige Wohngebäude an der Hölzelstraße; dem Wohnhof direkt gegenüber liegen die Musterhäuser der Werkbundausstellung von Behrens und Scharoun.
Bilder oben: Außenfassade zum Hölzelweg hin und Eingangsbereich an der Straße „Am Weißenhof“.
Bilder oben: Passage durch das Gebäude zum Innenhof.
Bilder oben: der Gebäudekomplex zieht sich um einen nahezu quadratischen Innenhof. Drei Flügel bildet das 5-geschossige Wohngebäude, den vierten das (ehemalige) Café.
Bilder oben: der 8-geschossige Wohnturm des Friedrich-Ebert-Wohnhofes mit der markanten „Lichtraupe“ im Bereich des Treppenhauses.
Bilder oben: der Wohnturm des Friedrich-Ebert-Wohnhofes vom Innenhof der Anlage aus gesehen.
Bilder oben: die Räumlichkeiten des ehemaligen Café- und Restaurantgebäudes wurden mittlerweile zu Wohnungen umgebaut.