Stuttgart Nachkriegsarchitektur

Nachkriegsjahre und Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg

Über die Nachkriegsarchitektur schreibt Gilbert Lupfer in Band 19 (Nr. 1 von 1991) in der Zeitschrift „Kritische Berichte“ (Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften des Ulmer Vereins „Verband für Kunst- und Kulturwissenschaften e.V.“) das Folgende:

„Bauten aus den 50er Jahren werden meist mit einem bestimmten Etikett bedacht: »Nierentischstil«, »Rasterarchitektur« oder »Armseligkeit«. Diese Begriffe verweisen auf Unterschiedliches, Widersprüchliches. Die Architektur der 50er Jahre war eben gerade nicht homogen, sondern durchaus heterogen und vielfältig. Unterschiedliche Traditionen und Vorbilder wurden verarbeitet, adaptiert, weiterentwickelt. Das 12 Jahre lang verfemte Neue Bauen wurde genauso wieder aufgegriffen wie die organhafte und die expressionistische Architektur. Der sogenannte Heimatschutzstil lebte relativ ungebrochen und unangefochten weiter; so wie er die Alltagsarchitektur des Dritten Reiches dominiert hatte, so bediente er den durchschnittlichen Geschmack nach 1945. Auch die nationalsozialistische Repräsentationsarchitektur blieb nicht ganz ohne Nachfolge.“

Verbunden mit der Trümmerräumung, die bis 1953 andauerte, war der Wiederaufbau der Infrastruktur: zerstörte Brücken mussten neu erbaut werden (10 der 12 Neckarbrücken waren von den Alliierten gesprengt worden), Straßen und Bahnlinien sowie die Energieversorgung waren wieder herzustellen. Um einen Wildwuchs bei der Wiederbebauung zu verhindern oder zumindest zu erschweren, wurde 1946 ein „Bausperrzonenplan“ erlassen, der u.a. eine Meldepflicht für alle Neubauprojekte vorsah und eine koordinierte Planung der Bauten garantieren sollte; trotzdem entstanden viele illegale Behelfsbauten – etwa eingeschossige Ladenbaracken – die bis in die 1960er Jahre erhalten blieben.

Nachkriegs-Architektur der 1950er Jahre: Wohnhaus von 1958 an der Stuttgarter Schlossstraße

Das Max-Kade-Heim

Aus den zermahlenen Trümmern der Stadt wurden Baustoffe für neue Gebäude gewonnen, so auch der Beton für das Max-Kade-Studentenwohnheim, welches von Wilhelm Tiedje und Ludwig Hillmar Kresse entworfen worden war. Das 20-stöckige Hochhaus, welches sich neben der Stuttgarter Liederhalle und gegenüber der Universitätsbibliothek an der Holzgartenstraße befindet, wurde in nur einem Jahr Bauzeit von 1952 bis 1953 errichtet.

Bilder oben: das Max-Kade-Heim war eines der ersten größeren neuen Gebäude nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Universitäts-Mensa an der Holzgartenstraße

Das Mensa-Gebäude für die Stuttgarter Uni in der Nähe des Campus am Stadtgarten  wurde in der Holzgartenstraße, direkt neben dem Studentenwohnheim Max-Kade-Haus erbaut. Gebaut haben sie – wie auch das Wohnhochhaus für die Studenten/innen Wilhelm Tiedje und Ludwig Hillmar Kresse – direkt nach dessen Fertigstellung in den Jahren 1953-56.

Für den Bau von Wohnheim und Mensa musste der benachbarte Hoppenlau-Friedhof eine Randfläche abgeben. Das quaderförmige  Mensagebäude hat eine Grundfläche von 35 x 44 Metern und ist drei Stockwerke hoch. Die Ost-Fassade der beiden Obergeschosse zur Holzgartenstraße hinwurde vom Maler und Bildhauer Hans Bäurle mit einem die ganze Breite einnehmenden und über 8 Meter hohen Mosaik aus 20 Tausend Klinkerplatten in drei unterschiedlichen Grautönen gestaltet. Die Platten haben zwei unterschiedliche Größen und wurden teils quer und teils hochkant angebracht.

Das Mosaik aus unterschiedlich grauen Klinkerplatten an der Ostfassade.

Die beiden Architekten schrieben in einem Beitrag für die Festschrift zur Eröffnung des Gebäudes: „Der Saal zeigt sich zur Straßenseite hin als fensterlose mächtige Wand. Eine Fläche von diesem Ausmaß bedurfte besonderer Mittel der Gestaltung. Die Frage der rhythmischen Gliederung war Gegenstand eines Wettbewerbes unter fünf jüngeren Künstlern. Das Kuratorium, beraten durch Fachpreisrichter, entschied sich für den Entwurf des jungen Malers Bäurle, der auch zur Ausführung kam. Der Versuch, mit genormten Industrieplatten in zwei Größen und in drei Schattierungen eine lebendige Gestaltung zu erreichen, darf wohl als geglückt bezeichnet werden.“

Urspünglich war die Wand tatsächlich fensterlos; in den 1980er Jahren wurden aber die jetzt sichtbaren fünf Erkerfenster eingesetzt. Das Erdgeschoss ist mit roten Klinkersteinen verblendet, auf der Seite zum Max-Kade-Haus gibt es vor der gebäudehohen Vollverglasung eine die ganze Länge einnehmende Terrasse. Die Seite zum Hoppenlau-Friedhof hin zeigt in beiden Obergeschossen eine jeweils durchlaufende Loggia. Diese West-Seite ist ebenfalls verglast. Zwischen Max-Kade-Heim und Mensa verläuft ein überdachter Gang.

Das Gebäude befindet sich zur Zeit in einem längeren Prozess der Sanierung. Im Haus waren zwei unterschiedliche große Speisesäle untergebracht, die man über geschwungene Treppen vom Foyer aus erreichen konnte, dazu eine Milchbar und eine Bierbar sowie Klubräume. Auch die Wirtschaftsräume zum Betrieb der Mensa befanden sich natürlich im Gebäude und das Studentenwerk besaß hier verschiedene Räumlichkeiten.

Bilder oben: etwas versteckt hinter Alleebäumen und sonstigem Baumbewuchs befindet sich das Mensagebäude der Uni gleich neben dem Max-Kade-Studentenwohnheim. Ein 35 Meter langer „Wandteppich“ aus unterschiedlich großen und unterschiedlich gefärbten Klinkerplatten ziert die Ostfassade.

Die „autogerechte Stadt“

Entscheidend für die städtebauliche Neugestaltung Stuttgarts beim Wiederaufbau waren insbesondere Pläne, die Strukturen im Hinblick auf die wachsende Bedeutung des Inividualverkehrs  mit dem Automobil zu „optimieren“ (Schlagwort „autogerechte Stadt“). Das beinhaltete einerseits die Verbreiterung bestehender Straßen im Bereich der Innenstadt als auch die Anlage neuer Verkehrsachsen und der Einfallsstraßen. Dazu erarbeitete die „Zentrale für den Aufbau der Stadt Stuttgart“ (ZAS), das spätere Stadtplanungsamt, 1947 einen „Verkehrsgerippeplan“, der dem Generalbebauungsplan zugrundegelegt wurde.

Zum Bild: Die autogerechte Stadt: die B14 (Konrad-Adenauer-Straße) zerschneidet die Stadt; Charlottenplatz im Jahr 2005 (im Vordergrund die Landesbibliothek) sowie im Jahr 2022.